MANUEL FRANKE [1999]

RENATE WIEHAGER
 
Wenn man über aktuell relevante Positionen einer Kunst „in situ“ nachdenkt, dann gibt es meiner Ansicht nach in Deutschland derzeit wenige Künstler, die sich Fragen und Analysen, die Michel Asher und Daniel Buren seit etwa 1970 aufgeworfen haben, mit vergleichbarer Konsequenz nicht nur ernsthaft zugewandt haben, sondern darüber hinaus auch in der Lage sind, diesen Faden fortzuspinnen. Und zwar in einer Weise, welche die vorwiegend kunstimmanenten Strategien der Vorläufer aufnimmt, sie in ein erweitertes Feld gesellschaftlicher Praxis überführt und künstlerische Lösungen erprobt, welche einerseits in einen offen artikulierten Widerspruch zu den vorgefundenen Strukturen treten, andererseits eine Mimikry üben, welche das Objekt der kritischen Recherche mit den eigenen „Waffen“ schlägt.
 
Alle Kriterien einer Kunst „in situ“ gelten für Frankes temporäre Installationen: Er arbeitet streng orts- und raumbezogen, untersucht in detaillierten Vorarbeiten die architektonischen und urbanen Strukturen, reflektiert den politischen, historischen und kulturellen Kontext und bedenkt die mit diesem gegebenen sozialen und ästhetischen Implikationen. Seine plastisch-architektonischen Eingriffe in Galerieräume, Museumshallen oder Messestände bürsten die Funktion der Räume und mit diesen die Regeln der Kunstbetriebsamkeit gegen den Strich. Entsprechend hatte der Kunstmarkt an dem angehobenen Fußboden der zusammen mit Leni Hoffmann besetzten Messekoje von Thomas Taubert in Berlin (1997) oder an der haushohen, rosafarbenen Fassade vor dessen Düsseldorfer Galerie (1996) ebenso schwer zu kauen wie an der nach innen gebauten Außenwand für die Galerie Köstring Maier in München (1997), oder an der abgehängten Decke im Haus der Allianz-Versicherung in Köln (1997). Der Betrachter aber, einmal auf die stille, visuell dafür umso nachdrücklicher sich behauptende Neu de fi nition des Raumes aufmerksam geworden, öffnet sich dieser anderen, utopischen Auffassung des Verhältnisses von Architektur und Gesellschaft, einer Auffassung von Architektur, wie Jean Baudrillard formuliert hat, als „Wahrheit und Radikalität“: „Wenn die Architektur nur die funktionelle und programmatische Transkription der Zwänge der sozialen und urbanen Ordnung sein soll, dann existiert sie als Architektur nicht mehr. Ein gelungenes Objekt ist eines, das jenseits seiner eigenen Realität existiert […].“ [2]

Ein Blick zurück auf Buren und Asher: Wer mit dem facettenreichen, immer überraschenden, manchmal visuell opulenten, manchmal schillernden Werk von Daniel Buren vertraut ist, den mag es im ersten Moment erstaunen, dass gerade Buren die nüchtern-konzeptuelle, architekturbezogene Kunst „in situ“ seines etwas älteren Kollegen Michael Asher als wegweisend für eine „Kunst mit Architektur“ hervorgehoben hat; Asher sei „einer der ausgesprochen seltenen Künstler […], die ihre Arbeit im Wesentlichen nicht nur auf eine Untersuchung der allgemeinen Gegebenheiten eines Ortes gründen, um sodann eine Antwort darauf zu geben […], sondern die sich darüber hinaus sämtlichen Konsequenzen ihres Tuns stellen. Eine dieser Konsequenzen wäre zum Beispiel die Schwierigkeit (oder Unmöglichkeit?), die der Kunstmarkt hat, sich an solche Arbeiten zu gewöhnen, und das ist in unseren Breiten schon so selten, dass es eine Erwähnung verdient.“ [3]
 
Ashers zentrales Anliegen seit etwa 1970 ist es, die Strukturen, Mechanismen und Funktionsweisen eines institutionalisierten Kunstbetriebs offenzulegen, sie gewissermaßen zu demaskieren. Kein zu vermarktendes Werk sollte entstehen, sondern eine temporäre Reflexionsebene. Wie bei Buren ist es bei Asher die Frage des Referenzrahmens, „the frame“, die das Werk untersucht. Der Kontext rückt bei beiden in den Mittelpunkt, während der künstlerische Text minimal ist. Ausgangspunkt beider ist die Erkenntnis, dass die Rolle der Wahrnehmung historisch sozial konstruiert ist. „Es geht um die Sichtbarmachung der Rahmenbedingungen und der Regeln der Kunst im Kunstwerk selbst. […] Bei Asher und Buren sind die Arbeiten immer unmittelbar, direkt, physisch und konzeptuell mit dem Raum verbunden, in dem sie stattfinden. Rahmen und Raum und kultureller Kontext bilden eine untrennbare Einheit.“ [4]
 
Es ist von ganz wesentlicher Bedeutung, sich diese Zusammenhänge und Argumentationsstrukturen wieder zu vergegenwärtigen, wenn man sich mit den Arbeiten von Manuel Franke beschäftigt.

 

[1] Der vorliegende Text ist die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags, der ursprünglich erschienen ist in: Kat. The Space Here is Everywhere. Kunst mit Architektur / Art with Architecture, hrsg. von Renate Wiehager (Esslingen, Villa Merkel / Bahnwärterhaus, 5.8–10.10.1999), Esslingen 1999, S. 54.
[2] Jean Baudrillard, Architektur: Wahrheit oder Radikalität?, Literaturverlag Droschl, Essay 40, Graz / Wien 1999, S. 15.
[3] Daniel Buren, „Wie ein Palimpsest oder Die Metamorphose
eines Bildes“, in: Kat. Skulptur. Projekte in Münster, hrsg. von Klaus Bußmann u. a. (Münster, 22.6.–28.9.1997), Ostfildern 1997, S. 79–81, hier S. 79.
[4] Peter Weibel, in: Kat. Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre, hrsg. von dems. (Graz, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 2.10.–7.11.1993), Köln 1994, S. 52.